Und da waren sie wieder...

Kopf

 

Es ist Mittwoch, ich habe starke Kopfschmerzen und das, keine Ahnung, das bestimmt achte Mal in den letzten neun Tagen. Ich sitze förmlich geknickt und unzufrieden in meiner Küche an meiner Insel. Mit Insel meine ich keine echte, schöne und sandige Insel, sondern ein Konstrukt, welches anstelle eines Kochfeldes Stauraum und einen Sitzplatz bietet. In meiner Küche eben. Mein Stuhl quietscht und ich fange an zu schreiben, zu schreiben über das, was mich gerade beschäftigt, als Ausgleich. Schreiben als Therapie eben. 

 

Kontrolle

 

Der erste Nespresso Lungo ist bereits geleert und ich denke nach. Irgendwie bin ich gefühlt traurig und planlos und dazu weinerlich. Und mir ist irgendwie kalt, sehr kalt sogar. Ich suche nach meinen Filzpantoffeln, es schüttelt mich. Ich stehe auf, das unzähligste Mal laufe ich zum Schieber, dem Schieber mit den Süßigkeiten. Vererbte Tradition meiner Familie. Ich suche nach Zucker, Zucker für den Kopf, Zucker für meine Seele und doch greife ich nicht zu. Denn genau zwei Stück dunkle Schokolade sind heute erlaubt. Ja, ich schreibe bewusst ERLAUBT. Ich beschränke und kontrolliere mich wieder – leider, ab heute und ab sofort. Denn ich habe gefühlt nicht mehr das in der Hand, was ich eigentlich haben sollte. Back to the roots, ich wiege wieder alles ab und ich führe Tagebuch. Willkommen, alles halb so schlimm.

Meine Emotionen spielen verrückt, meine Haut spielt verrückt, mein Kopf spielt verrückt, ich spiele verrückt. Und draußen gewittert es gerade. Dabei wollte ich doch schon längst vom Laufen zurück sein. Falsch gedacht. Aber ich laufe sicher gleich los, gleich, wenn meine Gedanken niedergeschrieben sind.

 

Nervosität

 

Ich bin dauerhaft nervös, fasse mir in mein Gesicht, überprüfte die Krater, ich kratze – an meinem Kopf und in meinem Gesicht. Der Spiegel, welcher rein zufällig neben mir auf der Insel steht, schreit mich förmlich an. Ich zähle genau sechs neue Stellen, welche mich zur Verzweiflung bringen. Ich fasse sie an, ich fühle, sie sind geschwollen und rot und sie schmerzen, mir kommen die Tränen. Die Haut als Spiegel deiner Seele. Was will mir meine Haut nur gerade sagen? 

Und dann sehe ich mich erneut an. Ich sehe froschgrüne Augen, dunkelblondes Haar, volle Lippen, ein verschmitztes Lächeln und ich denke mir, das wird schon wieder. Das wurde bisher immer wieder. Ich übersehe bewusst die Narben über meiner Oberlippe und an meinem Kinn. Dunkle Stellen, welche sich abheben von meiner hellen Haut. 

Und ich sage mir, es wird dennoch ein guter Tag. Denn jeden Tag ist ein guter Tag. Man muss nur daran glauben und lächeln. Lächeln für einen guten Tag. Habt ihr gewusst, dass ihr Eure Stimmung selbst in der Hand habt? Stellt Euch einfach vor einen Spiegel und lächelt eine Minute lang. Es wirkt, versprochen.

 

Chaos

 

Meine Wohnung versinkt derweil im Chaos, denke ich mir beim Blick nach rechts in den Flur. Ich blicke auf ein Paket, das Paket mit dem vergangene Woche gelieferten Stativ, ich blicke auf den Staubsauger, welcher noch immer auf seinen weiteren Einsatz wartet, ich blicke auf meinen Koffer, der noch immer nur halb ausgeräumt seit unserer Rückkehr aus Kreta am Boden liegt und ich blicke aufs Gästezimmer, dessen Tür ich in diesem Augenblick zu schließen vermag. CHAOS, überall. Kisten als Schrankersatz, Kisten als Lagerplatz, Kisten und  Kleidungsstücke in praktisch jedem Raum. 95 Quadratmeter, zu zweit, ich brauche einen NEUEN Plan, Struktur muss her und mehr Zeit. 

 

To-Do-Liste

 

Nebenbei erledige ich parallel Dinge meiner gefühlt unendlich langen To-do-Liste. Diese wächst und wächst seit Wochen und Monaten und mit ihr mein Kopfschmerz. Ob unbeantwortete E-Mails, Pakete, welche zurück zur Post müssen, überhaupt der Reifenwechsel, die Datenschutz Grundverordnung, Hausarbeit. Es wächst alles, nur meine Pflanzen nicht. 

Mittlerweile habe ich den zweiten Nespresso Lungo intus, mich hungert es, aus Langweile, ein bisschen aus Frustration und ich erwische mich wieder beim Griff in mein Gesicht. Aufhören, sofort.

 

Social Media

 

Ich habe mir heute vorgenommen, Social Media, liebevoll das Business genannt und konkret Instagram und Reichweiten, Beantwortung von Kommentaren und Direktnachrichten einfach sein zu lassen. Und dennoch erwische ich mich auch hier und STÄNDIG. Gefühlt entsperre ich alle fünf Minuten mein Telefon. Mein Alibi? Habe ich ein Alibi? Brauche ich ein Alibi?

 

FÜR MICH

 

Ich war übrigens noch laufen, oder sagen wir besser walken. 16:00 Uhr, erste Regentropfen, 40 Minuten, ich zufrieden, gewohnt langsam und außer Atem und doch in meinem Element. 

Der Koffer liegt übrigens noch immer im Flur, an den restlichen Dingen arbeite ich ebenso emsig wie an mehr Ruhe und Gelassenheit. Die Kopfschmerzen sind für heute verflogen. Ich bin stolz, ohne Schmerzmittel ausgekommen zu sein, für heute und vielleicht auch morgen. Für immer wäre mir lieber. Für MICH und meine Gesundheit. Und nur für mich und meine Gesundheit.

 

Heute

 

Und wie ich meine Nachbarn soeben beim Gesangstraining höre und aus dem Fenster blicke, sage ich mir, es war ein guter Tag und der heutige wird sogar noch besser.